MÜNCHEN (dpa-AFX) - Ein Materialfehler an den Antrieben vieler Airbus-Jets (Airbus SE (ex EADS)) hat den Münchner Triebwerksbauer MTU (MTU Aero Engines) tief in die roten Zahlen gerissen. Für die aufwendige Inspektion der sogenannten Getriebefan-Triebwerke seines US-Partners Pratt & Whitney (Raytheon Technologies) stellte MTU im dritten Quartal rund eine Milliarde Euro zurück. Damit zeichnet sich auch für das Gesamtjahr ein Verlust ab. Die Arbeiten an den Triebwerken werden die Hersteller noch lange beschäftigen. So müssen in den kommenden drei Jahren weltweit hunderte Airbus-Jets aus der A320neo-Familie am Boden bleiben.
"Wir wollen die Auswirkungen auf unsere Airline-Kunden so weit wie möglich begrenzen", sagte MTU-Chef Lars Wagner in einer Telefonkonferenz zu dernQuartalszahlen am Freitag in München. Wagner will so viele Triebwerke wie möglich in die MTU-Werkstätten holen und mit einem Ausbau der Kapazität die Wartezeiten verringern. Grund des Rückrufs ist ein Materialfehler: Pratt & Whitney hat bei der Herstellung der Turbinenscheiben ein problematisches Metallpulver verwendet.
Wagner geht davon aus, dass jedes der Triebwerke für die Reparatur etwa 300 Tage lang am Boden bleiben muss. Die Arbeiten selbst sollen zwar nur halb so lange dauern. Doch je nach Alter und Betriebsstunden müssen die Fluggesellschaften viele Turbinen schon bald außer Betrieb nehmen. Dann beginnt das Warten auf Werkstatttermine - und Ersatzteile, die erst noch produziert werden müssen.
Unterdessen zeigte sich Wagner zuversichtlich, "dass das Metallpulver-Thema bis 2026 erledigt ist". Und Finanzchef Peter Kameritsch erwartet nach Rückstellung von einer Milliarde Euro im dritten Quartal keine weiteren Belastungen mehr. Das Management arbeitet nun daran, die Dauer der Werkstattaufenthalte zu verkürzen und damit die Kosten und die Entschädigungen für die Fluggesellschaften zu drücken. Zudem verhandelt MTU mit Pratt & Whitney über eine Entschädigung für die Einbußen.
Nach Angaben der Triebwerkshersteller müssen wegen des Rückrufs in den Jahren 2024 bis 2026 im Schnitt etwa 350 Airbus-Jets aus der Modellfamilie A320neo am Boden bleiben. Im ersten Halbjahr 2024 dürften es sogar 600 bis 650 sein. Laut Pratt & Whitneys Mutterkonzern RTX (Raytheon Technologies) betrifft das Metallpulver-Problem sogar rund 3000 Getriebefan-Triebwerke - das sind fast alle, die bisher ausgeliefert wurden. Zwar können die Arbeiten in vielen Fällen bei den üblichen Inspektionen erledigt werden. Der Rückruf dürfte aber zu 600 bis 700 zusätzlichen Werkstattaufenthalten führen, hieß es.
Die A320neo-Jets sind die Verkaufsschlager des weltgrößten Flugzeugherstellers Airbus. Etwa die Hälfte von ihnen fliegt mit den Getriebefan-Triebwerken, die übrigen mit dem Konkurrenzantrieb Leap der Hersteller SAFRAN und General Electric.
Bei MTU führte die Milliarden-Rückstellung im dritten Quartal unter dem Strich zu einem Verlust von 568 Millionen Euro. Ein Jahr zuvor hatte der Konzern hier noch 92 Millionen Euro verdient. Der Verlust vor Zinsen und Steuern (Ebit) belief sich im abgelaufenen Quartal sogar auf 793 Millionen Euro, sodass für die ersten neun Monate ein Minus von 410 Millionen Euro zu Buche steht - nach einem Gewinn von 331 Millionen ein Jahr zuvor.
Bei seinen Jahreszielen für Umsatz und operativen Gewinn klammert die MTU-Führung Sondereffekte wie den Triebwerksrückruf jedoch aus. Um solche Posten bereinigt erzielte der Konzern in den ersten neun Monaten einen Umsatz von 4,6 Milliarden Euro und damit 21 Prozent mehr als ein Jahr zuvor. Der bereinigte operative Gewinn (bereinigtes Ebit) legte sogar um ein Drittel auf 597 Millionen Euro zu. Denn das Tagesgeschäft mit neuen Triebwerken, Ersatzteilen und Wartung lief ansonsten rund.
MTU-Chef Wagner sieht das Münchner Unternehmen daher abseits des teuren Rückrufs auf Kurs. Bereinigt um die Sonderbelastung soll der Umsatz in diesem Jahr weiterhin auf 6,1 bis 6,3 Milliarden Euro klettern. Der ebenfalls bereinigte operative Gewinn vor Zinsen und Steuern (bereinigtes Ebit) soll mit gut 800 Millionen Euro einen Rekordwert erreichen. Einschließlich der Sonderbelastung dürfte das operative Ergebnis jedoch in den roten Zahlen landen.
An der Börse wurden die Neuigkeiten mit Erleichterung aufgenommen. Die MTU-Aktie legte bis zur Mittagszeit rund anderthalb Prozent auf 182,50 Euro zu und gehörte damit zu den stärksten Titeln im Dax (DAX 40). Dabei erholte sie sich ein weiteres Stück von ihren herben Kursverlusten der vergangenen Wochen. Dennoch wurde sie noch rund zehn Prozent billiger gehandelt als Ende 2022. Und das Jahreshoch von gut 245 Euro vom April ist noch deutlich weiter entfernt.
Derweil muss sich der französische Triebwerkshersteller Safran erneut mit Problemen bei Boeing herumschlagen. Der Flugzeughersteller aus den USA hat in seinen Mittelstreckenjets vom Typ 737 Max Produktionsmängel entdeckt und sein Auslieferungsziel gekappt. Safran-Chef Olivier Andriès stellt sich nun darauf ein, dass sein Unternehmen in diesem Jahr entsprechend weniger Leap-Triebwerke ausliefert als bislang geplant. Anders als beim Airbus A320neo ist das Leap der einzige Triebwerkstyp für das Boeing-Modell.
Die Zahl der ausgelieferten Leap-Turbinen dürfte in diesem Jahr statt um 50 Prozent nur um 40 bis 45 Prozent zulegen, teilte Safran am Freitag in Paris mit. An ihren Zielen für Umsatz und operativen Gewinn hält die Safran-Führung allerdings fest. Im dritten Quartal steigerte Safran seinen Umsatz um ein Fünftel auf 5,8 Milliarden Euro. So lieferte das Unternehmen 389 Leap-Triebwerke aus - zwölf Prozent mehr als ein Jahr zuvor. In den ersten neun Monaten waren es 1174 Exemplare, eine Steigerung um 45 Prozent. Für die Safran-Aktie ging es nach den Nachrichten um rund 0,2 Prozent abwärts./stw/mne/mis
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Author: Jodi Kramer
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